Vortrag von Prof. Dr. Elena Zanichelli
Mittwoch, 30. Oktober 2019, 19 Uhr
Mamma mia!
Visuelle Reartikulationen von Mutterschaft in der Gegenwart
Wo eine Mutter ist, da ist auch eine Familie. So selbstverständlich diese Aussage klingt, so unterschiedlich können Mutterbilder sein. Dass wir heute in einer Phase der zunehmenden Veränderung traditioneller Familienkonzepte stehen, wird oft mit der zunehmenden, neoliberalistisch geprägten Individualisierung von Arbeits- und Lebenskonzepten in Bezug gebracht. Familie wird heute umbenannt, ihr Wirkungsraum mit Adjektiven ausgedehnt – die Rede ist von erweiterter Familie, auch von multikultureller Familie. Ausgeweitet wird ‚Familie‘ sprachlich auch durch Komposita: Patchwork-Familie, Regenbogen-Familie, LGTB- Familie, multilokale und multinationale sowie multikontinentale (Welt-)Familien. Und doch: Die (Re-)Artikulation und Veränderung innerfamiliärer Werte und ihrer Funktionen im Sozialleben ist im 21. Jahrhundert selbstverständlich nicht neu. Sie ist eng verbunden mit dem vorwiegend von feministischen Theoretikerinnen in den 1970er Jahren thematisierten Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit, dem Privatbereich des familiären Haushalts, der Reproduktionsarbeit und der darin implizierten Arbeitsteilung.Aktuell ist zudem mit dem Konzept der sogenannten bereuenden Mutterschaft eine Kontroverse um die ‚Mutterrolle‘ entfacht.
Der Vortrag betrachtet ‚neue’ Mutterbilder als künstlerische Verhandlungen von Mutterschaft und fragt nach der Rolle einer nach wie vor umkämpften Mutterschaft im Verhandlungsfeld ‚neuer’ (Wahl-)Familienkonstellationen. Es wird deutlich, dass Muttersein nicht gleich Mutterschaft erzeugt. In Umwandlung eines berühmten Satzes von Simone de Beauvoir lässt sich heute sagen: Frau wird nicht zur Mutter geboren, sondern sie wird es erst.
Elena Zanichelli, italienische Kunsthistorikerin, Kritikerin und Kuratorin, unterrichtet seit 2018 Kunstgeschichte am IKFK (Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik) der Universität Bremen. Sie untersucht Wechselwirkungen zwischen (zeitgenössischer) Kunst, Feminismus, Massenmedien, dem 'Privaten' und der Konsumgesellschaft. Sie studierte an den Universitäten Parma, Bonn und Zürich und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin 2012. Neben den akademischen Lehrtätigkeiten, u. a. als Inter artes-Gastprofessorin an der Universität Köln 2018, wirkte sie an verschiedenen Ausstellungsprojekten wie der documenta 12 (Kassel 2007) mit. Sie kuratierte u. a. Women in Fluxus and Other Experimental Tales (Reggio Emilia 2012/13), Fake or Feint – sechs Szenarien zu taktischen Markierungen – scenario three: films und Jean-Jacques Lebel – Dada Venus (Berlin 2000).
Ihr Buch Privat – bitte eintreten! Rhetoriken des Privaten in der Kunst der 1990er Jahre erschien 2015 (transcript Verlag Bielefeld). Derzeit arbeitet sie an einem Forschungsprojekt zum Thema Family Values – zur visuellen Re-Artikulation eines konfliktbeladenen Modells.
In Kooperation mit dem Institut für Kunstwissenschaft – Filmwissenschaft – Kunstpädagogik der Universität Bremen und dem Mariann Steegmann Institut. Kunst & Gender