Supplement #1: Kristin Loschert

Supplement #1: Kristin Loschert

Ein Brief an einen Freund – Das Sprechen über Arbeiten

zu Heinz Peter Knes, Fotografische Arbeit

Letztes Jahr:

In meinem ehemaligen Studio zeige ich Heinz, woran ich gerade arbeite, Bilder hängen an der Wand, noch ist alles lose und ich habe Fragen. Später notiere ich mir seine Gedanken zu den Bildern - ein Satz begleitet mich seither, er fragte: „Wie würdest Du den Wind fotografieren?“

Immer wieder kehrt der Gedanke zurück zu mir, der Wind sucht sich seinen Weg in die Bilder. Die Bewegung, den Zustand, den er als vieldeutige Kraft verursacht, scheint abbildbar, er selbst, der Auslöser an sich, jedoch nicht? Es ist eine Frage, die nur indirekt auftaucht, in unterschiedliche Mäntel gehüllt. In die fotografischen Handlungen schreiben sich Begegnungen ein, die Realität wird zu dem, was sie ist, wenn und wie wir sie anblicken und wie wir ihr gegenüberstehen, wir schaffen uns unser Verhältnis zu ihr. Im freundschaftlichen Austausch mit Heinz notiere, markiere, hebe ich Dinge auf. Der Faden spinnt sich weiter, wir führen unser Gespräch fort.

 

Das Kino und der Wind und die Photographie
D 1991
R: Hartmut Bitomsky, 56´

https://vimeo.com/90201914

„Damit fangen wir an: die Straße des ersten Films. Diese Straße liegt in einer Vorstadt von Lyon. Dort war die Fabrik der Brüder Lumiere. Sie haben die ersten Kinofilme gedreht: Es waren dokumentarische Filme.
Es ist ein Film über Filme und das heißt über die Wirklichkeit von Filmen und von den Theorien darüber. Es ist ein Blick in eine Werkstatt, in der gerade laboriert wird. Die Situation der Bearbeitung, der Arbeit am Projekt, ist in den Film integriert. Es gibt keinen Kommentar, sondern ein Sprechen über Filme, das mit Ideen und Zitaten hantiert und sich dabei ganz unmittelbar den Filmausschnitten stellt: Das Kino wird mit seinen eigenen Mitteln untersucht. Diese Untersuchung will nicht systematisch sein, es ist eher eine Art Wilderei, eine fröhliche Wissenschaft, in der das Wichtige neben dem Marginalen stehen darf und der Begriff in der Beiläufigkeit steckt. Was dabei herauskommt, bietet keine Lösung von Problemen an und auch keine Gleichungen (etwa: Dokumentarfilm ist Realität mal Filmkunst dividiert durch kritisches Bewusstsein ...). Was dabei herauskommt, ist Kino-Enthusiasmus.“ (Hartmut Bitomsky)

Der Filmemacher und Filmkritiker/vermittler Hartmut Bitomsky (* 1942 in Bremen) spricht in seinem Videoessay „Das Kino und der Wind und die Photographie“ in sechs Kapiteln über die Geschichte, das Wesen, und die Wirkung des Dokumentarfilms. Mittels Zitaten und Filmausschnitten sowie abfotografierten Filmstills umkreist er in einem Arbeitsraum, umgeben von Monitoren und VHSRekordern und Theoriebüchern, die sich vor dem Kamerauge türmen, gemeinsam mit Kollegen und Filmstudenten das Verhältnis des dokumentarischen Films zur Wirklichkeit.
In einer Art Versuchsanordnung legt er die eigene Arbeit am Film offen, Regieanweisungen fliegen durch den Raum, das Mikro schiebt sich ins Bild.

Statt eines Epilogs verliest er am Ende des Film den Brief eines Freundes an ihn:

„Bevor Du Dein Dokumentarfilmprojekt startest, möchte ich Dir noch eine Definition von Dokumentarfilm geben, die mir nach „Fires were started“ von Jennings einfiel. Es gibt da eine sehr sorgfältige Darstellung, wie die Feuerwehr die Schläuche wieder einrollt, und alles Zeugs wegräumt.
Im Spielfilm wird nie weggeräumt, nur hingestellt. Es gibt natürlich Ausnahmen: nach einem Essen, die Teller werden weggebracht, das Paar unterhält sich noch beim Abwaschen. Aber dennoch gilt: nur im Dokumentarfilm wird aufgeräumt.“

 

Cesare Pavese
„Gespräche mit Leuko“

Heinz empfahl mir dieses Buch von Cesare Pavese vor einigen Jahren. Das Beharren auf die Auseinandersetzung mit Geschichte und sie ins Verhältnis zur Gegenwart setzen, erkenne ich auch in Heinz´ Arbeiten wieder.

„(…)Wir verabscheuen all das, was ungeordnet, regellos, zufällig ist, und versuchen uns - auch im Stofflichen - zu beschränken, uns einen Rahmen zu geben, in einem abgeschlossenen Daseinsraum zu bleiben. Wir sind überzeugt, daß eine große Offenbarung nur aus dem hartnäckigen Beharren auf einer ebensolchen Schwierigkeit hervorgehen kann. Wir haben nichts gemein mit den Reisenden, den Experimentierern, den Abenteurern. Wir wissen, der sicherste - und rascheste - Weg zum Staunen ist der: unerschrocken immer den gleichen Gegenstand fest im Auge behalten. Auf einmal erscheint uns dann dieser Gegenstand wunderbar - so, als hätten wir ihn niemals gesehen.“ (Cesare Pavese)

Dalla nube alla resistenza
(From the Clouds to the Resistance)
Danièl Huillet, Jean-Marie Straub, 1978, 105´

„From the clouds, that is from the invention of the gods by man, to the resistance
of the latter against the former as much as to the resistance against
Fascism.“ (Jean-Marie Straub)

1947 veröffentlichte Cesare Pavese die „Dialoghi con Leucò“, kurze Gespräche zwischen je zwei Figuren aus der griechischen Mythologie.
Für „Dalla nube alla resistenza“ nehmen Daniele Hulliet und Jean-Marie Straub sechs Dialoge aus „Gespräche mit Leuko“ (1947) von Cesare Pavese als Grundlage für ihren Film.

Wie kann eine Gesellschaft der Zukunft aussehen?
„Revolution bedeutet, sehr alten und vergessenen Dingen ihren Platz zurückzugeben – diesen Satz von Charles Péguy hält Jean-Marie Straub immer wieder bereit, wenn es um die Zukunft der Gesellschaft geht, genauso wie Walter Benjamins Ausspruch von der Revolution als dem „Tigersprung ins Vergangene“: „Das ist auch die Idee von Pavese mit seinen mythologischen Dialogen, er wollte seine Genossen spüren lassen, daß die Flucht in die Zukunft nicht ausreicht.“ In Zeiten des Staatskommunismus wurden derartige Äußerungen stets als häretisch und reaktionär bekämpft.
Man sollte beachten, daß nicht von der Wiedereinsetzung einer Vergangenheit die Rede ist, sondern von Vergangenem, von sehr alten oder vergessenen Dingen. Die Götter und göttlichen Wesen, Erzählungen einer vergangenen agrarischen Gesellschaftsform, die in den Dialogen auftreten, sind gewiß ambivalent. Sie sind  Formulierungen – Personifizierungen – von Macht und sie werden bis heute, verweltlicht, technisiert, von den realen politischen und gesellschaftlichen Kräften besetzt und instrumentalisiert. Andererseits verkörpern sie Geist und Moral. Und damit auch die ethische Empfindung gegenüber der Welt des Sinnlichen und Menschlichen. (…) In  Dalla nube alla resistenza“ sind die Götter gleichwohl Mächte, die die Menschen verführen und die es zu bekämpfen gilt wie die faschistischen Ideologien und die gegenwärtigen Technokratien. Die offene, noch nicht zur Faust geschlossene Hand des Jungen am Ende des Dialogs mit seinem Vater vor den Opferfeuern ist ein erstes Zeichen des Widerstandes.“ (aus: Markus Nechleba, New Film Critique)

Die Wolke 
(Es sprechen die Wolke und Ixion)

Die Wolke: Es gibt ein Gesetz, Ixion, dem man gehorchen muss.
Ixion: Das Gesetz gelangt nicht hierherauf, Nephele. Hier ist der Schneeberg, der Sturm, die Finsternis das Gesetz. Und wenn ein leuchtender Tag kommt und du dich leicht an den Felsen schmiegst, ist es zu schön, um noch daran zu denken.
Die Wolke: Es gibt ein Gesetz, Ixion, das es vorher nicht gab. Die Wolken, die versammelt eine stärkere Hand.
Ixion: Diese Hand gelangt nicht hierher. Nun, da es heiter ist, lachst du ja selbst. Und wenn der Himmel sich verfinstert und der Wind heult, was soll die Hand noch, die uns schleudert wie Tropfen? Es geschah schon zu Zeiten, da es Gebieter nicht gab. Nichts ist verwandelt über den Bergen. Wir sind das alles gewöhnt.
Die Wolke: Viele Dinge sind auf den Bergen verwandelt. Das weiss der Pelion, das wissen der Ossa und der Olymps. Es wissen das auch noch wildere Berge.
Ixion: Und was ist verwandelt, Nephele, hier auf den Bergen?
Die Wolke: Weder die Sonne, noch das Wasser, Ixion. Das Schicksal des Menschen ist verwandelt. Es gibt Ungeheuer. Eine Grenze ist euch Menschen gezogen. Das Wasser, der Wind, der Fels und die Wolke gehören nicht mehr zu euch., ihr könnt sie nicht mehr fest an euch pressen im Erzeugen und Leben. Andere Hände halten nunmehr die Welt. Es gibt ein Gesetz, Ixion.
Ixion: Welches Gesetz? Die Wolke: Schon weißt du´s. Dein Schicksal, die Grenze… 
Ixion: Mein Schicksal hab ich in der Hand, Nephele. Was ist verwandelt? Diese neuen Gebieter, können die mich vielleicht daran hindern, so zum Spiel einen Felsblock zu schleudern? Oder hinabzusteigen in die Ebene und einem Feind das Rückgrat zu brechen? Werden sie schrecklicher sind als die Müdigkeit und der Tod?
Die Wolke: Das ist es nicht, Ixion. All dies kannst du tun und anderes mehr. Doch du kannst dich nicht mehr mit uns anderen vermischen, den Nymphen der Quellen und den Berge, mit den Töchtern des Windes, mit den Göttinnnen der Erde. Das Geschick ist verwandelt.
Ixion: Du kannst nicht mehr….Was heißt das ,Nephele?
Die Wolke: Das heißt, das du-wolltest du´s tun-statt dessen furchtbare Dinge begingest. Wie jemand, der einen Gefährten, um ihn zu liebkosen, erwürgte oder erwürgt würde von ihm.
Ixion: Ich versteh´ nicht. Kommst du nicht mehr auf´s Gebirge? Fürchtest du dich vor mir? 
Die Wolke: Ich komme wohl aufs Gebirge und wohin es auch sei. Du kannst mir nichts tun, Ixion. Du kannst nichts tun gegen das Wasser und gegen den Wind. Doch das Haupt musst Du beugen. Nur so rettest du dein Geschick. 
Ixion: Nephele, du fürchtest dich.
Die Wolke: Ich fürchte mich. Ich habe die Berggipfel gesehen. Doch nicht meinethalben, Ixion. Ich kann nicht leiden. Für euch, die ihr nichts als Menschen seid, fürchte ich mich. Diese Berge, die ihr einst als Gebiete durcheiltet, diese in Freiheit erzeugten Geschöpfe von uns und von dir, zittern jetzt auf ein Zeichen. Wir sind alle einer stärkeren Hand unterworfen. Die Söhne vom Wasser und vom Wind, die Kentauren, verstecken sich in der Tiefe der Schluchten. Dass sie Ungeheuer sind, wurde ihnen bewusst.
Ixion: Wer sagt es?
Die Wolke: Nicht die Hand herausfordern, Ixion. Es ist das Geschick. Verwegenere als sie und als dich sah ich vom Felsen abstürzen und dann nicht sterben. Versteh mich, Ixion. Der Tod, der euer Mut war, kann euch genommen werden wie ein Gut. Weisst du das?
Ixion: Du hast es mir schon gesagt. Was soll´s? Um so mehr leben wir dann.
Die Wolke: Du spielst und kennst die Unsterblichen nicht.
Ixion: Ich möchte sie kennen, Nephele.
Die Wolke: Ixion, du glaubst, die seien so da wie jetzt wir, wie die Nacht, die Erde oder der alte Pan. Du bist jung, Ixion, bist aber unter dem alten Schicksal geboren. Ungeheuer bestehn für dich nicht, nur Gefährten. Der Tod ist für dich etwas, das sich zuträgt wie der Tag und die Nacht. Du bist unsereiner, Ixion. Du bist ganz in der Gebärde des Tuns. Doch für sie, die Unsterblichen, ist die Bedeutung deiner Gebärden von Dauer. Von ferne befühlen sie alles mit den Augen, den Nüstern, den Lippen. Sie sind unsterblich und können nicht ohne die anderen leben. Das, was du vollbringst und nicht vollbringst, das, was du sagst, was du suchst-das alles ist ihnen lieb oder unlieb. Und wenn du sie verstimmst wenn du sie versehentlich störst in ihrem Olymp-, so stürzen sie auf dich los und geben dir Tod-jenen Tod, den sie kennen, der ein bittrer Geschmack ist, der dauert und den man spürt.
Ixion: Also kann man noch sterben.
Die Wolke: Nein, Ixion. Sie machen aus dir einen Schemen, einen Schatten jedoch, der das Leben zurückwill und niemals mehr stirbt.
Ixion: Hast du sie gesehen, diese Götter?
Die Wolke: Ich hab sie gesehen…..O Ixion, du weißt nicht, was du verlangst.
Ixion: Auch ich habe welche gesehen, Nephele. Sie sind nicht schrecklich.
Die Wolke: Ich wusste es. Dein Los ist gezeichnet. Wen hast Du gesehen?
Ixion: Wie kann ich das wissen? Es war ein Jüngling, der den Wald barfüßig durchquerte. Er ging an mir vorüber und sagte kein Wort zu mir. Vor einem Felsen verschwand er. Ich suchte ihn lange, um ihn zu fragen, wer er sei-das Staunen hatte mich festgenagelt. Er schien aus demselben Fleisch geschaffen wie du.
Die Wolke: Hast du ihn allein gesehen?
Ixion: Im Traum dann habe ich ihn mit den Göttinnen zusammen wiedergesehen. Und scheinbar war ich bei ihnen, redete und lachte mit ihnen. Und sie sagten mir die Dinge, die auch du sagst, doch ohne Angst, ohne zu zittern, wie du. Wir sprachen miteinander vom Schicksal und vom Tod. Wir sprachen vom Olymps, machten uns über die lächerlichen Ungeheuer lustig….
Die Wolke: O Ixion, Ixion, dein Los ist gezeichnet. Jetzt weißt du, was verwandelt ist über den Bergen. Und auch du bist verwandelt. Und glaubst, etwas Höheres zu sein als ein Mensch
Ixion: Ich sag Dir, Nephele, dass du so bist wie sie. Warum sollten sie mir, zumindest im Traum, nicht gefallen?
Die Wolke: Irrer, du kannst bei den Träumen nicht halten. Steigst bis zu ihnen. Wirst etwas Schreckliches tun. Dann kommt jener Tod.
Ixion: Sag mir von allen Göttinnen die Namen.
Die Wolke: Siehst Du, dass dir der Traum schon nicht mehr genügt? Und dass du deinem Traum wie etwas Wirklichem glaubst? Ich flehe dich an, Ixion, steig nicht zum Gipfel. Denk an die Ungeheuer und an die Strafen. Anderes kann von ihnen nicht ausgehn.
Ixion: Ich habe noch etwas anderes geträumt heute nacht. Auch du warst dabei, Nephele. Wir kämpften mit den Kentauren. Ich hatte einen Sohn, er war der Sohn einer Göttin, ich weiß nicht von welcher. Und mir schien es jener Jüngling, der durch den Wald gestreift war. Er war auch stärker als ich, Nephele. Die Kentauren flüchteten, das Gebirge war unser. Du lachtest, Nephele. Du siehst, auch im Traum ist mein Los annehmbar.
Die Wolke: Dein Los ist gezeichnet. Nicht ungestraft erhoben sich die Augen zu einer Göttin.
Ixion: Nicht einmal zu der von der Eiche, der Herrin der Gipfel?
Die Wolke: Ob die oder jene, Ixion, hat nichts zu sagen. Aber fürchte dich nicht. Ich bleibe bei dir bis ans Ende.
(aus: Pavese, Cesare: Gespräche mit Leuko, Frankfurt am Main, 1991)

Conlon Nancarrow

Conlon Nancarrow´s Kompositionen entdeckte ich zufällig. Er stanzte sie in einen Lochstreifen, ein Player Piano entlädt daraufhin sich der metrisch komplexen Tonfolgen, die Musik scheint sich der messbaren Zeit entledigt zu haben:

Conlon Nancarrow
Study for Player Piano No. 25

https://www.youtube.com/watch?v=H53NM6qs4bw

Nancarrow

http://www.nancarrow.de/arbeitsweise.htm
http://www.nancarrow.de/das_player_piano.htm#Fragen%20der%20Authentizität

 


Supplement ist ein digitaler Handapparat, in dem thematische Vertiefungen, Dialoge und Denkprozesse zu der Ausstellung Fotografische Arbeit von Heinz Peter Knes sichtbar gemacht werden. Über die gesamte Laufzeit werden Beiträge von Künstler*innen und Autor*innen in Form von E-Mail-Aussendungen zugänglich gemacht.