Cadavre exquis (haptischer Genus), 2020, 6 gerahmte Zeichnungen: schwarze, pigmentierte Tinte, Aluminium Rahmen; große Bodenskulptur: Plastik, Klebeband, Acrylfarbe; 7 Bodenelemente: ungebrannter Ton, lackiert.
Sarah Lüdemann (Beauham) setzt in ihren Zeichnungen und Objekten auf materielle, haptische und formale Gegenüberstellungen. In den Zeichnungen fügen sich zu relativ schnell und grob gemalten rosa fleischfarbenen Acrylfarbsetzungen kleinteiligen, feine, langwierig zu zeichnende Tintenlinien. Beide Elemente erzeugen materielle wie figurative Assoziationen - an Fleisch und an Fell, an Körper- und an Pflanzenteile. Diese entstehen unter anderem durch die Zusammenfügung der so unterschiedlichen künstlerischen Mal- und Zeichnungsweisen, die eine merkwürdige Symbiose eingehen. Die besondere Hängung der sechs Zeichnungen verweist nicht nur auf deren serielle Zusammengehörigkeit, sondern führt zu einer choreographierten Bewegung der einzelnen dargestellten Körperobjekte. Eine ähnliche Bewegung der einzelnen dargestellten Körperobjekte. Eine ähnliche Bewegung durch Reihung zeigen auch die Bodenplastiken wobei hier der Gegensatz zwischen den weich wirkenden, ihre Bearbeitung zeigenden, grauen Tonobjekten und dem fest erscheinenden, mit Farbe dick bearbeiteten, rosafarbenen Plastikfolienwulst stärker bestehen bleibt als in den Zeichnungen. Dass die einen an Knochen und das andere an einen Fleischball denken lassen, kommt jedoch wieder durch das Zusammenspiel der Gegensätze. Mit ihrem Titel beschreibt Sarah Lüdemann (Beauham) zwei wesentliche Aspekte der künstlerischen Erarbeitung des Werks und dessen Rezeption. „Cadavre exquis“ ist ein bekanntes Spiel der Surrealisten in den 1920er Jahren, das wir heute abgewandelt vor allem mit Kindern spielen, wenn wir reihum gemeinsam Figuren zeichnen, deren Körperteile durch Umknicken für den nächsten Zeichner nicht sichtbar sind. Diese Strategie, um die künstlerische Kontrolle über den Inhalt des Werks auszuhebeln, ein malerisches Äquivalent zum automatischen Schreiben zu finden und dem Zufall einen Anteil an der Gestaltung zu überantworten, findet sich in der Arbeit von Sarah Lüdemann (Beauham) als Verfahren vor allem in den Tonobjekten, die sie Familienmitgliedern überlassen hat, die wiederum einigermaßen unkontrolliert ihre Fingerabdrücke ins Material gepresst haben. In den Zeichnungen gibt es eine Variation surrealistischer Vorgehensweisen, indem die Künstlerin hier auf eine eher spontane Setzung kontrolliert detailliert reagiert und figurative Assoziationen so herausarbeitet. Der exquisite Kadaver findet sich in den fleischfarbenen Teilen des Werks jedoch auch direkt visualisiert. Ähnlich als Beschreibung unserer Rezeption fungiert auch der haptische Genus - der haptische Fall, das haptische Geschlecht - im Untertitel, mit dem die Künstlerin verdeutlicht, wie zentral die haptische Ebene der Objekte ist, die sie als eine Art grammatikalische Bestimmung und damit als allgemein gültig definiert. Diese Haptik hat offensichtlich bei der Herstellung der Werke ebenso eine Rolle gespielt, wie sie der Ansatz der Betrachtung des Werkes ist, auch wenn sie visuell bleibt (und wir das Bedürfnis zügeln müssen, die Arbeit zu berühren).“
Ingmar Lähnemann, Städtische Galerie Bremen.