Der Schutzhase oder die Meisterlampe 01, 2001
Der Schutzhase oder die Meisterlampe
Projekt Schuricht-Bau, Bremen
Fotos: Joachim Fliegner
Die Bremer Künstlerin Isolde Loock hat die spannende Aufgabe übernommen, für ein neues Gebäude ein; künstlerisches Gesamtkonzept auszuarbeiten.
Isolde Loock bewegt sich mit den meisten ihrer Werke im Bereich der neuen Medien. Sie arbeitet mit Aktionen, mit Videofilmen und Videoinstallationen, mit Computer, mit Text, mit Typografie, mit neu entwickeltem und mit vorgefundenem Material - das können Objekte, Röntgenbilder oder Fotografien, es können aber auch Wörter und Zeichen sein.
Als sie zum ersten Mal dieses Gebäude sah, fiel ihr als wichtiger Aspekt die Transparenz der Architektur auf. Das Glas verleiht dem Bau Leichtigkeit und ermöglicht praktisch dauerhaft den Blick nach Aussen auf die Natur. Diese Transparenz fiel ihr aber auch innerhalb des Hauses auf, als offene Struktur der weiträumigen Büros mit den gläsernen Durchblicken, eine Struktur, die die Kommunikation fördern soll.
Diese Tatsache kam der Künstlerin sehr entgegen. Isolde Loocks Arbeit hat nämlich insgesamt mit Kommunikation im weitesten Sinn zu tun. Und so erarbeitete sie in diesem Fall ein dialogisches Konzept, bei dem sie von der Spannung zwischen der Natur, die das Haus umgibt und der Technologie, die im Haus gehandelt wird, ausgegangen ist.
Mit ihrer Kunst holt sie auf eine sehr sparsame aber sehr poetische und vielschichtige Art und Weise Naturelemente vom Aussenraum in den Innenraum, mit dem Ziel, diese beiden Bereiche - Natur und Technik - in ein Zwiegespräch zu verwickeln.
Dieses Zwiegespräch, dieser Dialog, führt vom passiven, unreflektierten Anblicken der Natur zu einem genaueren Betrachten und zu Fragen, die den Alltag im Haus, die Arbeitsroutine, kreativ durchbrechen können und ein beachtliches Potential von Anregung in sich bergen.
Im Mittelpunkt des Konzeptes steht das Bild am Eingang. Wenn Sie vor dem Leuchtkasten stehen, sehen Sie eine langgezogene braune, erdfarbene Form über einer hellen rosarot-grün changierenden Fläche. Sie zieht sich in die Breite wie eine Landschaftsdarstellung und lässt beispielsweise an eine ausgehobene Erdvertiefung in einer Wiese, auf einem Feld, denken.
Beim genaueren Betrachten fällt jedoch schnell auf, dass es sich bei der braunen Form um ein Fell handelt. Und bei richtiger Positionierung (ganz nahe am linken Rand des Leuchtkastens) sieht man, dass es sich dabei tatsächlich um das in die Breite gezogene Bild eines Hasen handelt, wie der Titel des Bildes „Schutzhase“ schon verrät.
Als Vorlage dafür diente ihr eines der berühmtesten Hasenbilder, nämlich „der kleine Feldhase“ von Albrecht Dürer, gemalt im Jahr 1502.
Isolde Loock bringt mit Dürers Hasen ein Stück Natur in das Innere des Hauses, das von reichem symbolischem Gehalt ist. Der Hase galt immer schon als Symbol für Fruchtbarkeit und Prosperität, für Schnelligkeit, mit seinen verlängerten Hinterbeinen, die ihm übrigens das Paradox ermöglichen, bergauf schneller laufen zu können als bergab. „Wenn das kein gutes Motiv für ein aufstrebendes Unternehmen ist“ meinte Isolde Loock.
Aber auch weitere seiner Eigenschaften machen den Hasen zum geeigneten „Schutztier“ für das Unternehmen. Der Hase gilt als klug, er ist ein sehr wachsamer Beobachter, von dem man sagt, dass er sogar mit offenen Augen schläft, und steht mit seinem weichen Fell für Wärme und Geborgenheit. Bei La Fontaine und in den deutschen Fabeln ist der Hase der kluge Ratgeber: M e i s t e r Lampe. In der neueren Kunstgeschichte ist übrigens auch ein toter Hase berühmt geworden, dem Joseph Beuys eine seiner Aktionen widmete. Und auch die „Scheisshasen“ von Dieter Roth, aus Hasenmist geformt, sind als Multiples häufig anzutreffen.
Albrecht Dürers Malerei an der Schwelle der modernen Welt, nach dem Mittelalter, ist wegen der unglaublichen Präzision seiner Naturbeobachtung und Darstellung fast zum Gleichnis für das wissenschaftliche Interesse am Forschungsobjekt Natur geworden.
Isolde Loock betreibt auch Forschung, auf anderen Gebieten: nämlich auf dem Gebiet der Malerei selbst und demjenigen der Sprache.
Das Verfahren, nach dem sie Bilder wie den „Schutzhasen“ realisiert, nennt sie Stretching. Als Vorlagen für ihre Stretchings verwendet sie immer Bildmotive aus der Kunstgeschichte, meistens Motive, die durch Reproduktionen allgemein bekannt sind, wie hier Dürers Hase, aber auch aus Bildern anderer grosser Meister wie Liebermann, Courbet oder Cézanne.
In der Malerei der Renaissance wurde bei den sogenannten Anamorphosen der reale Gegenstand im Bild perspektivisch verzerrt und so dem unmittelbaren Erkennen entzogen. Isolde Loock verzerrt nun mit heutiger Technik die Malerei selbst. Durch das Auseinanderziehen und Dehnen am Computer werden die Motive auseinandergerissen, fast seziert. Isolde Loock analysiert sie auf ihre Weise und erweitert sie durch zusätzliche Bedeutungsebenen.
Sie bezieht bei diesen Bildern die Betrachter mit ein, denn das ursprüngliche Bildmotiv, ihre Vorlage, erschliesst sich nur durch eigene Bewegung, indem man sich nämlich an den richtigen Ort stellt.
Dieses Einbeziehen der Betrachter, die Interaktion, ist ein wichtiger Aspekt der Kommunikation im Werk von Isolde Loock. Sie wird als künstlerischer Prozess vor allem im zweiten Teil des Konzeptes deutlich.
Dieser zweite Teil besteht daraus, dass stilisierte, am Computer bearbeitete Naturelemente aus der norddeutschen Flora und Fauna an vielen verschiedenen Orten im Haus plaziert wurden. Sie ziehen sich wie ein gedanklicher roter Faden durch das ganze Haus. Und zwar - der Idee der Transparenz folgend, die mit dem Leuchtkasten am Eingang schon angedeutet wurde - auf Fensterscheiben, auf Trennscheiben und auf Spiegeln.
Im Erdgeschoss sind es Motive aus der Pflanzenwelt, im ersten Stock Insekten, Falter und Käfer, im zweiten Stock Vögel.
Darin kommt das Interesse von Isolde Loock an Sprache zum Vorschein, an der Bildhaftigkeit und der Mehrdeutigkeit von Sprache. Man kann in diesem Zusammenhang erinnern, dass Isolde Loock über die Literatur zur bildenden Kunst gekommen ist. Der Liebe zur Sprache ist sie dabei nach wie vor treu geblieben. Das lässt sich wunderbar an ihrer Auswahl von möglichen Pflanzennamen erkennen. U.a. stehen auf ihrer Liste folgende Pflanzen, alle mit doppeldeutigen Namen:
Löwenzahn, Krähenfuss, Vergissmeinnicht, Nachtschatten, Ehrenpreis, Blutauge, Fingerhut, Tausendkorn, Entenlinse, Herzgespann, Froschlöffel.
Bei den Vögeln sieht es ähnlich mehrdeutig aus:
Ziegenmelker, Dompfaff, Star, Zaunkönig, Mönchsgrasmücke, Gelbspötter, Goldhähnchen, Weidenbuschsänger usw.
Allein die Namen lösen also schon viele Assoziationen aus, die über das Dargestellte oder das Bezeichnete hinausführen.
Solche Kommunikationsprojekte hat Isolde Loock schon oft durchgeführt, so beispielsweise
in verschiedenen Städten: in Kassel, New York, Frankfurt und Bremen, wo sie „Eingeschweisste Sätze auf Strassenpflaster“ klebte („Sie wissen ganz genau, dass die Welt heute andere Probleme hat, als Sein oder Nichtsein“),
im „Communication-Service“ 1999, im Projekt Oreste bei der Biennale Venedig,
mit der Aktion „Body guard“ auf der Expo 2000 oder
mit dem „Herzkammer-Projekt“ in der Galerie im Park in Bremen Ost, 2001.
Dr. Katerina Vatsella